Als Kostprobe der journalistischen Erkenntnismethodik zitiert Jochen Gros einen Artikel aus der Zeitschrift Stern vom 2.9.82 über die Interpretation der Farbe Schwarz. Ich finde diesen Text sehr wichtig und erlaube mir ihn hier wiederzugeben:

»Die Trendmacher der Mode sehen schwarz. Die Schneider-Asse in Paris und Mailand haben in den schwarzen Farbtopf getaucht, was ihnen unter die Finger kam: brave Bürokleider und heiße Disco-Nummern, Wohlstandsnerze und punkige Ledermonturen, elegante Abendkleider und sportliche Hosenanzüge. Die Schwärze ist dennoch kein Fall von Traurigkeit, da knallbunte Accessoires immer mit von der Partie sind. Schwarz ist in dieser Saison elegant und sexy zugleich. Schwarz ist mondän und zugleich frivol. Schwarz ist herb, und schwarz ist romantisch. Schwarze Mode kennt keine Tabus. Bis zum 15. Jahrhundert war in Europa Trauerkleidung schwarz. Ansonsten ging es bunt zu. Insbesondere am Burgundischen Hof, wo sich ein Modeluxus entfaltete, der einmalig war. Kostbare Stickereien, prunkvolle Brokate – und je festlicher die Kleidung desto farbiger mußte alles sein. Da aber ein Papagei unter seinesgleichen keine Chance zum Auffallen hat, wurde von Herzog Philipp dem Guten (1419-1469) totenschwarze Hoftracht eingeführt. So war auf den ersten Blick auszumachen, hinter welchem Wams die Macht saß. Schwarz bekam zum ersten Male einen Beigeschmack - den distanzierter Vornehmheit. Einen Beigeschmack, den es bis heute nicht ganz verloren hat, der im schwarzen Kostüm, der Karriere-Frau weiterlebt.

Vom burgundischen wanderte die neue Zeremonialfarbe an den spanischen Hof. Karl dem Ersten (1516-1556) muß der düstere Ton sehr willkommen gewesen sein. Der spanische König und spätere Kaiser Karl V., der sein Leben in einer Klostergemeinschaft beendete, hatte mit schönen Kleidern nichts im Sinn. Er bevorzugte bescheidene, ärmliche Gewänder. Das führte dazu, daß er eines Tages von einem Fuhrmann verprügelt wurde, der den Herrscher für seinesgleichen hielt.

Unter der spanischen Vorherrschaft legte sich schwarz wie ein Trauerschleier über Europa. Alle Fürstenhäuser, egal wie verfeindet sie mit Spanien waren, nahmen die vornehme Farbe in ihrer Hoftracht auf. Und sehr schnell erkannten Herrscher und Höflinge, daß auf schwarzem Samt kostbares Geschmeide besonders gut zur Wirkung kommt. Ganz im Gegensatz zu den Benediktiner—Mönchen, die ab 1550 schwarze Tuniken als Sinnbild der Askese trugen.

Gleichzeitig übernahmen auch die Protestanten die schwarze Schlichtheit. So wurde Schwarz auch noch puritanisch. Am strengsten im calvinischen Holland, wo sich im 17. Jahrhundert Kaufleute und Magistratspersonen einschließlich ihrer Frauen in düstere, stumpfe Tuche hüllten. Nur um die Hälse ringelten sich blütenweisse Krausen, die die Nüchternheit des Bürgerkleides noch unterstrichen. Während Hollands große Maler wie Frans Hals, Anthonis von Dyck und Rembrandt an den ersten Portraits ihrer Wohlstandbürger pinselten, war man im übrigen Europa wieder zu bunten Kleidern übergegangen. Nur die Gelehrten, die in schwarzen Gewändern Standesbewußtsein demonstrierten, gaben die Farbe des Ernstes und der Würde so schnell nicht auf. Die letzten Spuren sind heute noch in den Talaren der Richter und Professoren zu finden.

Einen modischen Aspekt bekam Schwarz erst im 19. Jahrhundert wieder. Diesmal war es reine Männersache. Denn die neue Welle erfaßte den Frack, der seit ca. 1760 als männliche Tageskluft vorzugsweise in lebhaften Farben getragen wurde. Nun verschwand er im Dunkeln. Für den nächtlichen Ausgang wurde er schwarz eingefärbt und mit Zylinder zum Gesellschaftsanzug gekürt. Englands Geschmackspriester George »Beau« Brummel (1778-1840) stilisierte ihn zur Dandy-Uniform. Die eleganten Schwalbenschwänze wurden später häufig mißbraucht. von Dracula, von Gigolos sowie Geschäftsleuten, die keine reine Weste dazu trugen. Das Mondäne wie das Böse hüllten sich ins finstere Gewand. Am Ende der Romantik wurde die theatralische Farbe zur großbürgerlichen Uniform. Dienstpersonal wie Gouvernanten, Diener, Zimmermädchen und Hauslehrer (ver-)steckte man in schlichte dunkle Kleider. Herr und Diener waren oft nur an den Stoffqualitäten auseinanderzuhalten. Der trug feines Tuch, der andere derben Kattun. Die Damen der Gesellschaft freilich ließen sich nicht anschwärzen. Bis auf Romanfiguren und Außenseiterinnen. Lola Montez, Geliebte des Bayernkönigs Ludwig I., oder die französische Schriftstellerin George Sand fanden Geschmack an der Trauer- und Dienstbotenfarbe. Ausnahmen, die aber nicht Schule machten.

Denn Schwarz gehörte nach wie vor den Witwen. Die vorbildlichste war Englands Königin Viktoria. Nach dem Tod von Prinz Albert (1861) trug sie 40 Jahre lang nur Trauerkleidung und machte sogar einen speziellen Trauerschmuck aus Jett populär. Witwentracht bis ans Lebensende ist heute noch in streng katholischen Ländern wie Spanien, Portugal und italien gang und gäbe.

Englands prüde Queen konnte nicht verhindern, daß während ihrer Regentschaft die Farbe des Ernstes und des Todes ihre Unschuld verlor. Das passierte allerdings auf der anderen Seite des Kanals. Beim »Cancan« im Pariser Kabarett Moulin Rouge). Dort gab es an ganz und gar nicht prüden Tänzerinnen, nicht nur weiße Unterhosen, sondern auch schwarzbestrumpfte Beine zu sehen. Die hatten auf Männer eine so tolle Wirkung, daß bald auch leichte Mädchen die Florstrümpfe als Arbeitskleidung übernahmen.

Bis der Sündenfall von den Beinlingen auf die Unterwäsche abfärbte, vergingen Jahrzehnte. Noch in der ersten Hälfte dieses Jahrhunderts waren es rosige Hauttöne, die Männer aufregten. Schwarze Korsetts, Strapse und Büstenhalter wurden erst in den fünfziger Jahren durch Sexbomben wie Mariiyn Monroe und Sofia Loren zu erotischen Signalen. Seitdem gehören schwarze Spitzen auf nackter Haut zum Standardprogramm der Sex—Shops und Kaufhäuser und werden neuerdings sogar in Versandhauskatalogen angeboten.

Nach dem zweiten Weltkrieg wurde die vielstrapzierte Farbe drunter sexy, und drüber legte sie das Vorurteil der Trauer endgültig ab. Modemacherin Coco Chanel hatto zwar in den Jahren schon versucht, den Frauen schwarzen Chic zu verschreiben, kam damit über einen Achtungserfolg aber nicht hinaus. Denn zum Trauerimage war inzwischen noch das der Ärmlichkeit gekommen. Arbeiterinnen und Bäuerinnen trugen Kleider in dunklen, gedeckten Tönon. Sie schmutzten weniger und brauchten so oft gewaschen zu werden. Was Coco Chanel nicht schaffte, gelang Anfang der fünfziger Jahre einer Sängerin, Gréco. Muse der französischen Existenzialisten, wurde im enganliegenden schwarzen Pullover zum ldol der Nachkriegsjugend. Und nachgeahmt. ihr dunkler Rolli war der erste schwarze Massenschlager. Er war bereits sexy, aber noch harmlos gegen das, was Rita Hayworth aus Hollywood nach Europa brachte. Im Film »Gilda« trug das rothaarige Rasseweib das erste schwarze trägerlose Abendkleid der Kostümgeschichte – hauteng aus schimmerndem Satin. Und auch Marilyn Monroe, Ava Gardner, Lana Turner, Jane Mansfield und Sofia Loren gingen dazu über, ihre rasanten Körperformen mit schwarzen Stoffen zu rahmen.

Pariser Luxusschneider führen seitdem schwarze Abendkleider als Standardmodell. Fürs Massenpublikum gab’s Anfang der sechziger Jahre die verkürzte Ausgabe - das berühmte »kleine Schwarze«. Halb bürgerlich, halbmutig und mit der unvermeidlichen Perlenkette garniert, wurde es zur Uniform der Wirtschaftswunderzeit.

Danach begann auch die härteste aller schwarzen Wellen anzulaufen: Leder. Die Rocker hüllten sich vom Stiefel bis zur Brille in die Farbe des Todes. lhr Vorbild war Marlon Brando. Der mimte 1963 in dem Hollywoodstreifen »Der Wilde« den zornigen jungen Mann und trug einen schwarzen Lederbluson auf seinen breiten Schultern. Die Rocker identifiziterten sich mit dem gewalttätigen Halbstarken, seine Jacke und bauten sie zur kompletten Motorradkluft aus. Von den Rockern gingen die schwarzen Häute auf die Punks über. Und als dann auch die Peter Maffays und Udo Lindenbergs schwarze Haut anlegten, war für die Massen-Mode-Macher die Zeit reif zur harten Schwarzarbeit.

Aus Rocker-Kluft und Punkklamotten machten sie einen Edelverschnitt für Jet-Setter und Schickerira, die daran großen Gefallen fanden. Man muß kein Schwarzseher sein, um voraussagen zu können, daß das sicher nicht die letzte schwarze Welle war.

Schwarzsüchtige:

Sonia Rykiel, 51, Pariser Modeschöpferin, lebt und liebt in schwarz. Nicht nur ihre Garderobe, auch ihr Schlafzimmer ist - einschließlich der Bettwäsche — ganz in Schwarz getaucht. Schon als kleines Mädchen hatte sie ein Faible für Schwarz. Das bringt ihre feuerrote Mähne toll zur Geltung. "Schwarz unterstreicht sowohl die mystische als auch die perverse Seite meines Charakters", sagt die Pulloverkönigin.

Serge Lutens, 40, Make—up—Künstler in Paris, war 16 als er in schwarze Kleider stieg. Zunächst waren es nur Westen und Krawaten, mit 18 ließ er sich einen Tuchmantel schneidern. Heute sieht man den Schminkmeister des japanischen Kosmetik-Konzerns Shiseido nur noch in schwarzen Sachen. Was ihn an dieser Farbe so fasziniert, ist »die Mischung aus Trauer, Erotik und Armut«.

Andrée Putman, 54, Pariser Innenarchitektin, hält Schwarz für die aristokratischste aller Farben. Ihr erstes schwarzes Kleid nähte sie sich in einem Kloster, wo sie als Schülerin öfter ihre Ferien verbrachte. Daher schnitt sie es schlicht und streng wie eine Mönchskutte zu. Auch beruflich hält sich die Architektin an ihre Lieblingsfarbe. »Schwarzgefärbtes Holz ist mir lieber als natürlich gefärbtes«.

Industrie-Designer erkannten die Zugkraft der Farbe Schwarz schon Ende der sechziger Jahre. Für den Braun-Konzern schuf Dieter Rams das weltbekannte schwarze Image. Die ersten dunklen glatten Hi-Fi-Geräte wirkten nach den hölzernen Musik-Kisten revolutionär. Später als die High-Tech-Welle anrollte, machten Innenarchitekten wie der Hamburger Peter Preller sogar schwarze Lochbleche salonfähig. Schwarzes wurde zum Statussymbol. Schwarze Stereoanlagen und Boxen verheißen Power, schwarze Autos Schnelligkeit, schwarze Uhren und Kameras Präzision. Und davon fühlt sich der Mann mächtig angesprochen.

Endlich sah auch die Kosmetik-Industrie ihre Chance, den Mann mit seiner Lust auf Schwarz zu ködern. Sie kam ihm mit düster verpackten Düften. Letzte Zweifel, ob Cremes und Essenzen nicht doch weibisch seien, nahm sie ihm formvollendet. Flakons, die wie Benzinkanister, Feuerzeuge, und Rasierapparate aussehen, sind bei Herrenserien heute die Regel. Solche duften Praktiken brachten der Branche auf dem Herrensektor nur schwarze Zahlen.

Das machte die Kosmetikhersteller mutig. Nun wollen sie auch den Frauen mit schwarzen Flaschen etwas weismachen: Luxus nämlich. Der Hamburger Verpackungs-Designer Peter Schmidt, 44, schränkt ein: »Schwarz allein wirkt wie ein Sarg. Mit Rot aber wirkt es raffiniert, mit Gold luxuriös. Da sehen selbst Kitsch-Kartonagen edel aus. Schwarz läßt auch preiswertes wertvoll erscheinen.«

Wie die Hülle das Image eines Produktes beim Verbraucher beeinflußt, macht Schmidt an drei Beispielen klar: Kaffee oder Tee in Schwarz – das geht. Zigaretten in Schwarz – das ist schon schwieriger. Die dunkle Farbe könnte an den Teergehalt denken lassen. Bei Reinigungsmitteln will kein Kunde den Saubermacher durch eine äuBere Schmutzschicht getrübt sehen.

Anders bei Schönheitsmitteln. Ganz in Schwarz gehüllt sollen Duftwässer in den Regalen der Parfümerien eine Klasse für sich bilden. Dann haben sie — nach Branchenerfahrung - genau das gewisse Etwas, das zahlungskräftige Kunden attraktiv finden. Unterstützt von Werbeworten wie kostbar, anspruchsvoll, hochwertig und exklusiv lassen sich nicht nur Parfüms sondern auch Cremes bringen

Nicht nur die. Jetzt fährt die schwarzsüchtige Kosmetik-Industrie den Frauen auch noch über den Mund. Ein Lippenstift - durch und durch black - soll beautiful machen.«

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