Zum Theoriebegriff im Design

Design ist zwar immer an Sprache gebunden, aber nicht jeder sprachliche Ausdruck ist deshalb gleich als theoretisch einzustufen im Sinne von theoriezugehörig bzw. wissenschaftlich.Jochen Gros: Grundlagen einer Theorie der Produktsprache 1983, Offenbach

Gros kritisiert, dass allen vorhergehenden theoretischen Auseinandersetzungen mit Design ein klarer Theoriebegriff gefehlt hat. Er bezieht sich auf Siegfied Maser, der sich der Probleme der Designtheorie annahm. Er kam zu der Erkenntnis, dass wir unser Wissen über Theorie an sich vertiefen sollten, ehe wir eine Designtheorie definieren können.

Siegfried Maser formulierte einen Weg für die wissenschaftliche Klärung des Begriffs Designtheorie:

Ausgangspunkt sei, dass Design … eine Tätigkeit, also Praxis ist und daß eine solche Tätigkeit von Redeweisen; also von Theorie begleitet wird und zwar die entweder der Tätigkeit vorausgehen, also Machendes begründen oder der Tätigkeit nachfolgen, also Gemachtes rechtfertigen oder kritisieren. Siegfried Maser: Einige Bemerkungen zum Problem einer Theorie im Design, 1972

Das heißt, die Praxis, die zwischen den Redeweisen steht, soll nicht verwissenschaftlicht werden. Von der Designtheorie wird eine Hilfestellung für ein gutes Entwurfskonzept erwartet. Sie ist aber nicht der Garant für einen guten Entwurf. Und bitte was sind Redeweisen?

Jede Theorie hat somit eine begründende und kritische Funktion. Theorie geschieht insbesonders stets in sprachlicher Form, es sind Redeweisen. Redeweisen, die nach gewissen, noch zu bestimmenden Regeln ablaufen, werden sodann als wissenschaftlich bezeichnet. Solche Regeln sind insbesondere die folgenden: Redeweisen bestehen aus Begriffen und Sätzen – die verwendeten Begriffe sind zu definieren und in Sätzen zu beweisen. Siegfried Maser: Einige Bemerkungen zum Problem einer Theorie im Design, 1972

Ich musste diesen Absatz, wie vieles, mehrmals lesen! Aber Maser erklärt uns hier den Unterschied zwischen Redeweise und Gerede: Redeweisen folgen einem Schema und bedienen sich definierter Begriffe und Sätze. Dies hört sich zuerst kompliziert an, wird aber unser gegenseitiges Verständnis erleichtern.

Es ist, als lernten wir eine Sprache. Als ich ein kleiner Junge war, habe ich oft Pop-Star gespielt und Texte in Phantasie-Englisch gesungen (Sie doch bestimmt auch). Wenn jetzt mein Freund mit einstieg, dann hörte es sich wie richtiges Englisch für uns an, und ein paar Worte waren ja auch wirklich englische Wort, aber einander verstanden haben wir uns nicht. Weil wir nicht das Schema und die Begriffe der englischen Sprache kannten.

So etwas ähnliches passiert in der Diskussion über Design auch häufiger. Da Begriffe und Redeweisen nicht definiert sind, redet man an einander vorbei, oder kriegt sich in die Haare, obwohl man das selbe gut findet, aber unfähig ist, es seinem Gegenüber auch zu beschreiben.


Voraussetzung von Designtheorie

Die philosophische Grundlagenforschung versucht die Frage zu beantworten, wie Wissenschaft überhaupt möglich ist… Dabei kennzeichnet sich Wissenschaft vorläufig einmal durch die Sache, also den Gegenstand, über den sie Wissen formuliert, und zum anderen durch die Methode, die sie dazu verwendet. Siegfried Maser: Einige Bemerkungen zum Problem einer Theorie im Design, 1972

Kurz: Eine Theorie bedarf einer genauen Beschreibung des zu behandelnden Gegenstandes, so wie der Erkenntnismethode, die diesem Gegenstand angemessen ist.

Erkenntnisgegenstand

Über was wollten wir theoriesieren? Ach ja, über Design! Aber: Was ist Design? Diese Frage lässt sich laut Gros in zwei Einzelne aufteilen:

  1. »Was alles ist Design?«

  2. »Was ist das Spezielle an Design?«

Auf die erste Frage gibt es so viele Antworten wie Designer (wahrscheinlich eher mehr), daher dient sie nicht sehr der Theoriebildung. Lassen wir sie einfach ausser Acht und widmen uns lieber dem Speziellen im Design. Schauen wir uns beispielhaft an, was ein selbständiger Web-Designer Arbeit nennt.

  • Buchhaltung,
  • Kundenaquise und -konsultation,
  • IT (ohne funktionierenden Computer läuft nichts),
  • Materialrecherche (gibt es neue Techniken, Software, Fonts, Icons oder Images),
  • Weiterbildung (Aneignung neuer Techniken, Erlernen neuer Software, Workshops),
  • Trendrecherche (Was macht die Konkurrenz? Was sind die Farben der Saison?),
  • projektbezogene Recherche (Zielgruppenanalyse, Einarbeitung in die Kunden CI u.ä.),
  • Design

Wir sehen, dass eigentlich nur ein geringer Teil der anfallenden Arbeit eines Designers wirklich Design ist.

Werfen wir nun einen genaueren Blick auf diese Designtätigkeit. Was macht beispielsweise ein Web-Designer? Er bekommt Inhalte geliefert und verpackt sie in eine Website. Er gestaltet ihre Form.

Dies zeigt uns nach Gros ein Weg zurück zum alten Formbegriff und er gewährt uns in seinen Ausführungen einen historischen Überblick über die Theoriefindung, die sich der Formgestalter seit der Industrialisierung ausgesetzt sah. Denn mit der Industrialisierung entstand der funktionalistische Kernsatz: form follows function. Wobei sich daraus eine Theorie selbst obsolet machen würde, da man sich nur noch um die Optimierung der praktischen Funktionen Gedanken machen müsste und die gute Form von selbst kommen würde. Sogar wurde darüber nachgedacht, Designtheorie in die Ingenieurswissenschaften einzugliedern. Dies ging bis zur Funktionalismuskritik in den 60er Jahren, ausgelöst durch die Trabantenstädte. Es entwickelte sich die Ansicht, dass auch psychische und soziale Bedürfnisse in die Gestaltung einbezogen werden mussten. So entstand der Erweiterte Funktionalismus. Doch von einem Produkt wird mehr verlangt als nur die Summe praktischer und sozialwissenschaftlicher Methoden zu sein. So schließt sich der Kreis mit weitergehenden Ansprüchen an die Form. Doch ist es keine glatte Rückkehr zum alten Formbegriff. Die gewonnene Erkenntnis ist, dass die Form auch den Inhalt vermitteln muss – ihm somit eine Stimme = Sprache verleiht. Das ist das Spezielle an Design. Daher wird die Produktsprache Gegenstand der Designtheorie.

Erkenntnismethoden

Die charakteristischen Merkmale der klassischen Wissenschaften sind kurz gefasst folgende:

  1. Das Ziel der klassischen Wissenschaft ist es, ein System von objektiv wahren oder allgemeingültigen Sätzen aufzustellen.

  2. Der Fortschritt der klassischen Wissenschaften steht in einer zunehmenden Präzisierung, in einer fortschreitenden Differenzierung der Formulierung der Erkenntnisse.

  3. Das Prinzip der klassischen Wissenschaften ist das Prinzip der grundsätzlichen Bestimmbarkeit, der eindeutigen Festlegung.

  4. Der Weg der klassischen Wissenschaft, um das gesteckte Ziel zu erreichen, besteht in der Bildung von Fach und Präzisionssprachen.

  5. Eine Folge davon ist das Entstehen einer Vielzahl von relativ autonomen Disziplinen. Siegfried Maser: Einige Bemerkungen zum Problem einer Theorie im Design, 1972

Diese Definition soll uns helfen nach der richtigen Erkenntnismethode zu forschen. Zur Auswahl stehen uns auf der einen Seite die natur- und realwissenschaftlichen Methoden zur Verfügung, auf der anderen die geistes- und humanwissenschaftlichen Methoden. Schauen wir uns diese genauer an.

Die natur- oder realwissenschaftliche Erkenntnismethode

Gegenstand der Realwissenschaften ist das Reale. Resultierend aus der Beobachtung und ihrer sprachlichen Formulierung lassen sich Sätze bilden, die auf einem Repertoire von definierten Begriffen basieren. Diese Realdefinitionen bestehen aus der Angabe eines Messverfahrens. Daraus lassen sich Sätze formulieren, die entweder wahr oder falsch sind. Wahr ist ein Satz, wenn er mit der Realität übereinstimmt. Diese Beobachtung wird mit einem Experiment überprüft, das allerdings erst durch das Prinzip der Induktion und der daraus gebildeten Hypothese Allgemeingültigkeit erlangen kann.

Siegfried Maser bildet zur Veranschaulichung folgenden Kettensatz:

        Realität + Beobachtung   = Protokollsätze
  Protokollsätze + Induktion     = Hypothese
       Hypothese + Verifikation  = Gesetze
         Gesetze + Erklärung     = Theorie
Eventuelle Erklärung einer Theorie …

Ein Beispiel: Wir beobachten, dass ein Apfel zur Erde fällt. Das soll unser Protokollsatz sein, den wir abstrahieren, d.h. auf die Allgemeinheit erweitern: Alles fällt zur Erde! Das probieren wir aus. Wir schnappen uns ein Messband und ein Stoppuhr, lassen unterschiedliche Gegenstände aus unterschiedlichen Höhen zu Boden fallen und nehmen die Zeit. Nach einigen Versuchen vergleichen wir die Ergebnisse und das Mathe-Genie in uns erkennt nicht nur, dass alles zu Boden gefallen ist, sondern dass es sich auch noch mit gesetzmäßigen 9,80665 m/s² beschleunigt.

Bitte, ersparen Sie es mir die Erklärung hierfür hin zu schreiben! Wenn Sie es genauer wissen möchten, dann folgen Sie dem Link zu Schwerkraft.

Ist ein solches Verfahren auf den Erkenntnisgegenstand Produktsprache anwendbar?

Schauen wir einmal: Wir beobachten, dass Leute weniger rote als silberne Autos kaufen. Und sieh da, schon das stimmt nicht immer. Denn entgegen dem Apfel, der immer hinunter fällt, kauft sich jemand nur ein silbernes Auto, wenn ihm danach ist. Man könnte auch sagen, wenn die Produktsprache des Autos der Vorstellung des Käufers entspricht. Daraus ergeben sich zwei Probleme:

  1. die Vorstellung des Käufers ändert sich ständig, durch schwer zu definierende Einflüsse und ist daher schwer bestimmbar.
  2. weder die Vorstellung des Käufers, noch die Produktsprache besitzen eine Masseinheit.

Und das ist der Knackpunkt, warum die realwissenschaftliche Erkenntnismethode sich nicht für unseren Erkenntnisgegenstand eignet: Produktsprache einfach ist nicht messbar.

Das Semantische Differenzial

An diesem Punkt bin ich nicht ganz einverstanden mit Gros. Er geht auf den nächsten Seiten kurz und sehr ablehnend auf das Semantische Differential ein. Ich denke der vornehmlich Grund dafür ist, dass es damals neu war und Marketing-Abteilungen es als die wissenschaftlichste Methode überhaupt priesen, um Design zu messen. Mittlerweile wissen wir, dass das nicht stimmt (oder wir sollten es wissen)!

Ein Semantisches Differenzial gibt dem Rezipienten die Möglichkeit, seine subjektiven Eindrücke in eine Tabelle einzuordnen. Dies kann z.B. benutzt werden um Vergleich zu ziehen, zwischen dem Eindruck den eine Marke beim Konsumenten hinterlässt und ihrer Produktgestaltung. Wenn man bei solchen Test auf grosse Differenzen stösst, so könnte das als Hinweis gedeutet werden, dass man vielleicht doch noch einmal zurück an den Zeichentisch muss, wobei deutliche Übereinstimmungen ein gutes Zeichen dafür sein können, dass man richtig liegt.

Da es sich jedoch in jedem Fall um subjektive Eindrücke handelt, hat es eigentlich nichts im Kontext mit der realwissenschaftlichen Erkenntnismethode zu suchen.

Exkurs: Die journalistische Erkenntnismethode

Gros zitiert einen Artikel aus der Zeitschrift Stern über die damalige neue Modefarbe schwarz. Dies soll klarmachen, dass die Assoziationen, die wir mit einer Farbe in Verbindung bringen sehr stark von ihrem geschichtlichen und soziologischen Kontext abhängig ist, was er die Praxis vorwissenschaftlicher Zeichendeutung nennt, und was eigentlich auch heute noch der Standard ist, wenn wir über Design versuchen zu theoriesieren. Daher regt er an, diese genauer zu analysieren und optimieren, um dort mit der geisteswissenschaftlichen Theorie der Produktsprache anzuknüpfen.

Den entsprechenden Stern-Artikel finden Sie im Glossar, und er ist wirklich lesenswert.

Die geisteswissenschaftliche Erkenntnismethode

In den Geisteswissenschaften geht es nicht darum absolute, objektiv gültige Wahrheiten herauszubekommen, sondern um die Erkenntnis und Deutung von realen Phänomenen, seien sie sozialer, geistiger oder kultureller Natur. Dies beginnt mit der Suche nach dem Offensichtlichen, nach Evidenzerlebnissen (man könnte auch Aha-Erlebnisse sagen). Gros bringt hier zwei Beispiele:

  1. Der Eskimo der 30 (wahrscheinlich sind es mehr) verschiedene Wörter für Schnee kennt. Für ihn ist es daher viel einfacher Schnee zu unterscheiden und zu beschreiben. Es ist für ihn offensichtlich, um welche Art von Schnee es sich handelt. Dies ist besonders praktisch, wenn man jemandem mitteilen möchte, in welchem Schnee man versinkt und auf welchem Schnee man gefahrlos gehen kann. Für mich ist Schnee in erster Linie weiss.

  2. Der Experte für alte Sprachen. Um die Methodik der Hermeneutik zu erklären, die sich immer in einer Kreisbewegung zwischen den Polen Evidenzerlebnis (in diesem Fall eine Annahme) und Begründung bewegt. Bei dieser Methode ist man sich bewusst, dass unser Bezugspunkt nur eine Interpretations ist, wir aber dennoch davon ausgehen und versuchen eine Begründung dafür zu finden, die uns einen neues Aha-Erlebnis beschert, das wir dann wieder versuchen zu begründen… In diesem Schema geht es weiter bis unser Erkenntnisstand ausreichend ist. Ein praktisches Beispiel finde sich auch in der Dechiffrierung von Geheimnachrichten. In der Regel sucht man nach den sich am Häufigsten wiederholenden Buchstaben oder Buchstabenkombinationen und macht sich dann Gedanken, was es heissen könnte. Dann versucht man die gewonnenen Erkenntnis auf den Rest anzuwenden. Ergibt sich ein neuer Aha-Moment, liegt man richtig, wenn nicht muss man eine andere Annahme formulieren. Im Fall Enigma waren es die Worte wie »Oberkommando Wehrmacht«, die es den alliierten Spezialisten ermöglichte, den Code der Deutschen zu knacken.

In beiden Fällen läuft es darauf hinaus, dass je mehr Hintergrundwissen ich habe und je feiner mein Wortschatz ist, desto tiefer werden meine Evidenzerlebnisse sein. Diese Erkenntnismethode wird nie so präzise Ergebnisse liefern können, wie ein Messverfahren (soll sie ja auch gar nicht), jedoch ist sie mehr eine rein subjektive Aussage des Betrachter.

Diese Erkenntnismethode passt nach Gros‘ Ansicht besser zu einer Theorie der Produktsprache, oder wie er es lieber ausdrückt:

Design ist zwar nicht messbar, aber weitgehend interpretierbar.


Bestandteile einer Theorie der Produktsprache

Das Fundament ist gelegt nun kommt das Theoriegebäude. Im Wesentlichen besteht eine Theorie aus Begriffen und Sätzen bzw. aus Begriffsdefinitionen und den Begründungen von Sätzen und Hypothesen. Dies hat zum Ziel einen gemeinsamen Konsens zu schaffen, um kollaborativ den Erkenntnisstand zu mehren und sich verständigen zu können. Wir erinnern uns an das Sprachbeispiel!

Definitionsregeln

Eine explizite Definition legt die Bedeutung eines Begriffs fest. Eine implizite Definition legt hingegen seinen Gebrauch, die Anwendung des Begriffs, fest.

Bezeichnungen und Beispiel einer expliziten Definition:

das zu Definierende = das Definierende
        definiendum = definiens
           Schimmel = weißes Pferd

Der inhaltliche Aufbau verfolgt einem klaren und recht einfachen Schema. Das Definierende bedient sich dem nächsthöheren Allgemeinbegriffs des zu Definierenden plus eines spezifizierenden Merkmals. Dies ließe sich vorsetzen, bis wir beim Königreich der Tiere wären, der Spitze der Begriffspyramide in diesem Fall.

Auf der Seite WolframAlpha lässt sich das prima nachvollziehen. Wenn sie beispielsweise »horse« (Wolfram Alpha kann leider nur Deutsch übersetzen, aber nicht suchen) eingeben, dann werden Sie in Ihrem Ergebnis folgenden Darstellungen finden:

Auf der ersten Abbildung sehen wir die Begriffe vom gemeinem Hauspferd bis zum Königreich der Tiere. Auf der zweiten Abbildung sehen wir eine grafische Repräsentation mit den Verzweigungen auf den einzelnen Ebenen.

Begriffe definieren heißt, sie auf andere zurückzuführen. Je höher wir die Begriffspyramide ersteigen, desto allgemeiner und umfangreicher werden die Begriffe, aber auch inhaltsärmer. Wenn wir ein Tier als Säugetier bezeichnen können, so sagen wir nur sehr wenig über seine Merkmale aus und der Begriff Säugetier lässt sich auf eine ganze Menge Tiere anwenden. Steigen wir die Begriffspyramide hinab, umso spezieller und eindeutiger werden die Begriffe, aber auch umfangsärmer. Mit dem Begriff Schimmel schliessen wir Hunde, Katzen, Fische und sogar schwarze Pferde aus.

Da Wissenschaft jedoch den Anspruch hat, vollständig und eindeutig zu gleich zu sein. Dafür gibt es zwei Wege:

  1. Man schließt vom Allgemeinen zum Besonderen – deduktiv.
    Also von oben nach unten auf der Begriffspyramide.

  2. Man schließt vom Besonderen schrittweise zum Allgemeinen – induktiv.
    Von unten nach oben auf der Begriffspyramide (haben wir in etwas anderer Form schon bei dem Schwerkraftbeispiel getan).

Da es noch keine Fachsprache der Designtheorie gibt, mahnt Gros, dass vermieden werden sollte zu tief in die Kiste der Fremdworte zu greifen und sich nicht zu sehr von der Alltagssprache zu entfernen. Jedoch unterstreicht er die Notwendigkeit nach gut definierten Begriffen, die sich leicht erschliessen. Es bringt halt nichts, wenn man versucht einen Begriff zu definieren, indem man Begriffe benutzt, die selbst erst definiert werden müssen.

Gros beschreibt dies in einem Beispiel mit schlecht gewartetem Werkzeug: Wenn ich, um ein Rohr zu lackieren, erst die Spritzkabine aufräumen muss und dabei feststelle, dass der dafür notwendige Staubsauger erst repariert werden muss, jedoch aber der Schraubenzieher nicht an seinem Platz ist … dann ist alles Murks und sorgt sogar für schlechte Laune. Also, sollten wir bei der Bildung unseres Wortschatzes darauf achten, Begriffe zu wählen oder gar zu schaffen, die sich selbst erklären.

Kriterien für Sätze und Hypothesen

Um wissenschaftlich zu gelten, müssen Aussagesätze folgenden Kriterien folgen:

  • methodisch: Jede wissenschaftliche Erkenntnis sollte methodisch, d.h. nach einer bekannten Erkenntnismethode erzeugt worden sein.
    Haben wir gemacht. Stichwort: geisteswissenschaftliche Erkenntnismethode.

  • widerspruchsfrei: Im Gegensatz zu den Realwissenschaften, kann der geisteswissenschaftliche Erkenntnisstand widersprüchliche Aspekte und Tendenzen einschliessen. Daher kommt es viel mehr darauf an, diese zu interpretieren, als sie durch Theorie auszuschliessen. Darüber haben wir auch schon gelesen, aber weiterführend gibt es das Stichwort Dialektik – das Wechselspiel zwischen These und Antithese.

  • vollständig: Theorie wird auch daran gemessen, wie weit es ihr gelingt, den jeweils genannten Erkenntnisgegenstand vollständig zu erforschen, zu definieren und zu interpretieren.
    Gros bezeichnet diesen Punkt als ein Fernziel, da die »Theorie einer Produktsprache« noch in Kinderschuhen durch die Welt stolpert und erst einmal laufen lernen muss, ehe sie zu rennen anfängt.

  • wahr: Die Designtheorie sollte, wie jede geisteswissenschaftliche Theorie, nach Wahrheit streben. Eine eindeutig objektive Wahrheit wird sie jedoch nicht erreichen und soll sie auch gar nicht.
    Dies begründet sich beispielsweise auch in der Methode der Hermeneutik, bei der wir zu erst von einer Annahme ausgehen, versuchen uns diese schlüssig zu erklären, um zu einem neuen Evidenzerlebnis zu gelangen, etc. pp. Dies kann alles super schlüssig und präzise sein, wenn wir allerdings von der falschen Annahme ausgehen, dann liegen wir halt falsch, obwohl wir unsere Hausaufgaben richtig gemacht haben.

Auf den ersten Blick liest sich das ein wenig trostlos. Wird es nun nichts aus unserer Designtheorie? Nur Mut! Diesen Problemen müssen sich alle Geisteswissenschaften stellen. Die Fragen sind, wie Gros sie stellt:

Wie fest können wir uns an der jeweiligen These halten? Mit welcher Wahrscheinlichkeit können wir sie für die Begründung und Kritik praktischer Entwurfsprozesse einsetzen?

Er beschreibt nachfolgend eine »Regelung«, nach der die Brauchbarkeit einer These durch einen Nasenfaktor und Abstimmung bewertet werden kann.

Der Nasenfaktor ist ein undefinierter, oder besser unterschiedlich definierter Begriff, deshalb ist er mit Vorsicht zu geniessen, und am Besten vergisst man in gleich wieder, wenn man erst einmal begriffen hat, was Gros damit zu beschreiben versucht. Es geht darum, dass man eher dem glaubt, dessen Expertise besser ist. Wenn ich etwas über Kindererziehung wissen möchte, dann glaube ich eher der Aussage eines Pädagogen, als der eines Physikers. Der Aussage eines Pädagogikprofessors schenke ich mehr Beachtung, als der eines Pädagogikstudenten. Das lässt sich nachvollziehen.

Die Abstimmung ist keine veranstaltete, oder organisierte, sondern eher eine ständige, individuelle unter Fachleuten. Sie beschreibt den Umstand, dass sich Thesen gegenüber anderen Thesen deshalb durchsetzten, weil mehr Fachleute sie annehmen. Gros nennt dafür die Grundthesen von Freud, die sich gegen die von Adler und Jung durchgesetzt haben. Allerdings gibt es dafür auch genügend Beispiele in der Betriebs- und Volkswirtschaftslehre.

Gros beschreibt diese Umstände als für ihn und behaglich, aber die Kenntnis darüber als sehr wichtig.


Zur eigentlichen Theorie der Produktsprache

Die Produktsprache

Wie definieren wir Produktsprache? Da in diesem System die Produktsprache an der Spitze der Begriffspyramide steht, verlässt Gros das System, um sie zu definieren. Als höheren Allgemeinbegriff benutzt er die Mensch-Objekt-Relation, also die Beziehung zwischen Mensch und Objekt. Aber warum? Etwas früher haben wir den Designer als Formgestalter beschrieben. Allerdings ist hierbei Form ein Metabegriff. Es geht nicht um rund, oder eckig, sondern darum dem Objekt, oder Inhalt eine Form zu geben, die beim Betrachter, die gewünschte Wirkung erzielt. Das heisst wir gestalten die Beziehung zwischen Mensch und Objekt, oder anders ausgedrückt: Die Produktfunktionen.

Hier bei unterscheidet Gros zwischen den praktischen und produktsprachlichen Funktionen, die er anhand einer Türklinke erklärt, die ich hier noch einmal aufzählen möchte.

Zu den praktischen Funktionen zählen:

  • dass die Türklinke auch wirklich die Tür öffnen kann.
  • dass sie stabil genug ist.
  • dass ihre Größe der menschlichen Handhabung gerecht wird.

Zu den produktsprachlichen Funktionen zählen:

  • dass wir den Hebel an der Tür auch als Türklinke erkennen.
  • dass wir Vertrauen in die Türklinke entwickeln können, sowohl dass sie die Tür aufmacht, als auch dass sie stabil genug ist.
  • dass wir die Türklinke als einladend oder abstossend empfinden.

Die praktischen und produktsprachlichen Funktionen stehen natürlich in einer Wechselwirkung zu einander. Allerdings sollte der Hauptaugenmerk eines Designers nicht das Erlangen des technische Wissen um die praktischen Funktionen eines Produktes sein, beispielsweise: wie lang muss die Türklinke mindestens sein, damit ihre Hebelwirkung ausreicht um die Tür zu öffnen? Natürlich ist das bis zu einem gewissen Grad hilfreich, aber eigentlich sollte sich darum ein Techniker kümmern, auf dessen Wissen der Designer zurückgreifen kann.

Wir definieren die Produktsprache somit als diejenigen Mensch-Objekt-Relationen, die über unsere Wahrnehmungskanäle, über unsere Sinne, d.h. als psychische Produktwirkung vermittelt werden.

Als praktische Funktionen bezeichnen wir entsprechend alle Mensch-Produkt-Relationen, die nicht über unser Wahrnehmungskanäle vermittelt werden, sondern über direkte physische Produktwirkungen zustande kommen. Jochen Gros: Grundlagen einer Theorie der Produktsprache 1983, Offenbach

Formalästhetische und zeichenhafte Funktionen

Nachdem wir festgestellt haben, dass uns als Designer und Gestalter die produktsprachlichen Funktionen zu interessieren haben, gehen wir deduktiv vor, werden spezieller und teilen sie in zeichenhafte Funktionen und formalästhetische Funktionen.

Ein schief hängender, rechteckiger Bilderrahmens dient Gros als Beispiel für diese Differenzierung. Die Schräglage widerspricht einerseits unserem formalästhetischen Sinn für Ordnung und Raster, andererseits kann es aber auch ein Zeichen für Unordnung sein, oder es könnte ein Erdbeben gegeben haben etc.

Ein anderes Beispiel ist das Laptop meiner Frau. Er ist pink. Pink, weil das die Lieblingsfarbe meiner Frau ist. Das entspricht ihrem ästhetischem Empfinden. Pink aber auch, weil es der Laptop meiner Frau ist und er somit nur schwer verwechselt werden kann.

Wir definieren die zeichenhaften Funktionen somit als diejenigen Aspekte der Produktsprache, die als Bedeutungsträger wirken.

Als formalästhetische Funktionen bezeichnen wir diejenigen Aspekte der Produktsprache, die wir unabhängig von ihrer inhaltlichen Bedeutung betrachten.

Anzeichen und Symbole

Differenzieren wir nun diese Bedeutungsträger, die zeichenhaften Funktionen, So werden wir auf Anzeichen und Symbole stossen. Nehmen wir als Beispiele eine Wasserpistole.

Sie entspricht in ihrer Formgebung einer Automatik Pistole und da sie sehr klein ist, ist es vielleicht eine Agentenwaffe. Aber die Gestalt imitiert auch meine geballte Hand mit ausgestecktem Zeigefinger, somit wird mir gezeigt, wie herum ich sie halten muss. So ist das Zitat der Form an die Agentenwaffe als ein Symbol zu deuten, wo bei die grobe Form, die bei nahezu jeder Pistole ähnlich ist (hinten dicker Griff, vorn schlanker Lauf), ein Anzeichen für die richtige Richtung ist.

Wir definieren Anzeichen (Anzeichenfunktionen) als diejenigen zeichenhaften Funktionen, die durch die unmittelbare Anwesenheit ihres Gegenstandes den Betrachter zu einem angemessenen Verhalten auffordern. Anzeichen beziehen sich damit auf die praktischen Funktionen oder geben über technische oder andere Produktmerkmale Auskunft.

Als Symbole (Symbolfunktionen) bezeichnen wir diejenigen zeichenhaften Funktionen, die unabhängig vom unmittelbaren Vorhandensein assoziiert sind. Symbole verweisen damit über technische Merkmale und praktische Funktionen hinaus auf kulturelle, soziale etc. Bezüge. Jochen Gros: Grundlagen einer Theorie der Produktsprache 1983, Offenbach

Natürlich lässt die Deutung der Symbole mehr Spielraum für Interpretation und Diskussion, aber darum geht es ja schliesslich: dass wir lernen über Design zu reden!