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Design Radar – Warum ein Redesign?

Zu den Kursvorstellungen im Sommersemester 2012 trat Prof. Jörg Hundertpfund vor die versammelte Gesellschaft der Interface Design Studenten und fragte, ob sich nicht ein paar von uns dazu begeistern liessen, ein Werkzeug für die Entwicklung von Designtheorie zu entwerfen und zu bauen. Da ich stets mich auch theoretisch mit Design auseinander setzen wollte, traf er bei mir genau den richtigen Nerv und ich war dabei. Jedoch musste ich feststellen, dass meine Erwartungen sich nicht wirklich mit den Anforderungen des Kurses deckten. Ich fand mich wieder in einer Gruppe von fast ausschliesslich Produktdesignern, die sich auf einem ganz anderen Niveau befanden, was Theorieverständnis und Rhetorik betraf, als ich mich. Und dadurch, dass ich der einzige Interfacer war, war es aussichtslos an dem digitalen Werkzeug zu arbeiten. Also war ich gezwungen, den Kurs entsprechend seiner Beschreibung mitzumachen.

Der gerade erwähnte Niveauunterschied machte mir anfangs sehr zu schaffen. Ich kam mir ehrlich gesagt ein wenig dumm vor. Die Arbeit mit den bestehenden Werkzeugen war umständlich und langwierig, was den gemeinen Interfacer ja grundsätzlich abstösst. Aber diese „Zumutungen“ (bitte den Ausdruck nicht zu wörtlich nehmen) wurden auch belohnt. Ich wurde durch meine Kursleiter, an dieser Stelle sei auch Christof Flötotto erwähnt, und meine Kommilitonen, mit Begriffen und Theorien konfrontiert, denen ich gezwungener Maßen nachgehen musste, um mich nicht komplett ins Abseits zu stellen. Mir wurden Quellen für zeitgenössisches Design vorgestellt, die ich heute noch beobachte und die mich, wie auch die besagten Theorien, in meiner Gestalterpersönlichkeit beeinflusst haben. Und nicht zu letzt haben sich meine Fähigkeiten Design zu erfahren, darüber zu sprechen und zu diskutieren wenigstens ansatzweise dem genähert, was ich mich anfangs an meinen Kommilitonen so beeindruckt hat.

Über anderthalb Jahre liess mich das Thema Design Radar nicht los. Einerseits aufgrund des Erkenntnisgewinns, anderseits aus Bedauern darüber, dass das Werkzeug nicht benutzbar war. Als nun die Auswahl eines Themas für die Bachelor Thesis anstand, stellte ich es als mir schön und sinnvoll vor, für den Design Radar eine Repräsentation auf einem Multi Touch Table zu entwerfen, um endlich ein digitales Arbeiten zu ermöglichen. Doch bald musste ich feststellen, dass es mehr bedurfte, als nur ein Interface hinzuzufügen – das Werkzeug musste von vielen Seiten neu betrachtet und gestaltet werden!


Gespräch mit Christof Flötotto

Christof Flötotto ist Alumnus der FH Potsdam und Mitinitiator des Design Radar. Durch ein Gespräch mit ihm erhoffte ich mir, meinen Einblick in den Design Radar zu vertiefen und ein besseres Verständnis für die Methodik und das Werkzeug zu erhalten. Also, trafen wir uns in Christofs Büro in der Nähe des Berliner Hauptbahnhofs.

Zur Person

Christof erhielt sein Diplom in Produkt Design. Er sieht sich selbst nicht als der Hands-On-Designer, der täglich in der Werkstatt steht, sondern entdeckte schon recht früh sein Gefallen an der theoretischen und strategischen Auseinandersetzung mit Design. Leider stellte er fest, dass die strategische Planung in den Entwurfskursen sehr kurz kam und in den Theoriekursen zwar Marketingstrategien erklärt und Klassiker herangezogen wurden, aber eine direkte Verbindung zur Produktsprache und zur Gestaltung fehlte. Dies fiel ihm besonders auf, wenn man versuchte, Design verbal zu beschreiben, ohne auf ein anderes Design zu verweisen, oder in den Dokumentionen zu Designarbeiten, deren Strategie eher so wirkte, als wäre sie im Nachhinein entstanden. Was zwar auch wichtige Erkenntnisse bringt, aber das Gegenteil von Strategie ist. Aufgrund der Erfahrung in den Kursen wandte sich Christof an Prof. Jörg Hundertpfund.

Der Anfang

Wir Designer haben eine 360 Grad Umwelt, wie alle anderen auch. Warum beschränken wir jedoch unser Schaffensfeld auf 3 – 4 Grad, die wir im klassischen Designer Triptychon Stuhl, Lampe, Tisch gemacht haben?

Aus diesen Gesprächen resultierten Thesen, die zwar überspitzt formuliert waren, jedoch den Schaffensprozess der Designer barsch kritisierten. Auch die längere Lebensdauer und der höhere Herstellungspreis im Produkt Design rechtfertigt, nicht den vorherrschenden Anachronismus in seiner Entwicklung. In anderen Designdisziplinen wird oft auf bestehendem aufgebaut, bzw. sich damit auseinandergesetzt, um es danach besser, oder absichtlich anders zu machen. Produkt Design wiederholt sich hingegen gern selbst. Gute Beispiele dafür boten sich schon innerhalb der Hochschule. Sobald die Generation wechselt tauchen wieder die gleichen Klassiker auf, wie beispielsweise die Tischplatte auf vier Tischlerknechten, oder die umgekehrte Gartenharke als Garderobe. Den Grund dafür sahen Christoph und Jörg in der makelnden Auseinandersetzung mit Design als Ganzem und mit der Designsprache im Besonderen, „weil darüber sprechen ist auch immer Grundlage von Theorie“!

Super Style

Bringt uns das zeitgenössische Design!

Das war die Kernaussage der ersten Lehrveranstaltung aus der sich das Design Radar entwickeln sollte. Dem Aufruf folgend brachten Studenten mit, was sie für zeitgemäße Gestaltung hielten. In Betrachtung dieses Fundus begann die Differenzierung der einzelnen Objekte voneinander: Was unterscheidet sie? Gefolgt von einer Identifizierung: Was macht sie aus? Was ist das besondere an ihnen? Dies führte sehr schnell dazu, dass Studenten anfingen, ihre eigenen Ideen sehr kreativ zu erklären und somit auch Haltungen zu entwickeln und Positionen einzunehmen. Bestätigt durch die Erfahrungen aus den Super Style Kursen, entwickelten Jörg und Christof den Design Radar.

Design Radar

Ein didaktisches Instrument, um aus sich heraus eine Designtheorie zu entwickeln.

Wir Designer sind eine sehr heterogene Masse. Wenn auch die Ambitionen und Hintergründe in anderen Berufsgruppen ebenfalls unterschiedlich sind, so haben diese wenigstens noch ein gemeinsames Ziel. Ärzte heilen Menschen. Architekten bauen im Grunde genommen Häuser. Das Berufsbild des Designers jedoch könnte unterschiedlicher nicht sein. Genauso unterschiedlich ist der individuellen Zugang eines jeden Studenten zur theoretischen Auseinandersetzung mit seinem Fachgebiet. Das Design Radar gibt jedem einzelnen eine Methodik an die Hand, um selbst die Fäden zwischen den einzelnen Designs zu spinnen. Um herauszufinden, was die Crux, der neuralgische Punkt eines Designs ist. Warum das eine Design besser ist, als das andere. Und das in der eigenen Geschwindigkeit, im Rahmen des eigenen Horizontes.

Die Auseinandersetzung mit den Objekten und dementsprechenden Clustern entwickelt sich zu einer Melodie, und es liegt am Benutzer selbst, sie weiter zu spinnen. Das Resultat ist weder objektiv, noch allgemein gültig. Es ist kreatives Storytelling und das sollte dem Benutzer auch stets klar sein. Aber man soll mutig sein, dieses Storytelling zu betreiben, denn im Endeffekt schafft man sich damit eine Basis, um seine eigenen Entwürfe zu begründen und somit auch eine Haltung aufzubauen. Man entwirft nicht mehr nach Mustern die man irgendwo gesehen hat und gut findet, sondern man setzt sich strategisch mit der Produktsprache auseinander und versucht bewusst eigene Wege zu gehen. Besonders interessant wird es, wenn man seine eigene Gestalterpersönlichkeit unter diesem Licht betrachtet, und erkennt, warum man so entwirft, wie man bisher entworfen hat, und nun bewusst die Richtung weiter verfolgt, oder einen anderen Weg einschlägt.

Das Design Radar soll kein Malen nach Zahlen sein, das kritische Fragen beantwortet, sondern das kritische Fragen aufzeigt.

Im Gegensatz zum Offenbacher Ansatz will das Design Radar Objekte nicht isoliert, sondern im Kontext von Gesellschaft, Kultur und anderen Designobjekten, oder auch Designdisziplinen, betrachten. Wenn wir beispielsweise zehn Holztische, von unterschiedlicher gestalterischer Qualität, mit der Methodik des Offenbacher Ansatzes beschreiben wollen, so erlangen wir bei diesen zehn Tischen wahrscheinlich eine Übereinstimmung von 95 %. Es sind aber gerade diese 5 %, die die Qualität des Design ausmachen und die wir ebenfalls in anderen Designobjekten wieder finden wollen. Dabei soll uns das Design Radar unterstützen, aber nicht die Entscheidung abnehmen.

Wenn man die Ergebnisse des Design Radars über einen längeren Zeitraum beobachtet, so werden sich Cluster wiederholen, sich aber auch immer verändern.

Doch nicht zur Trend- oder Zukunftsforschung bietet sich das Design Radar an. Auch zur Zeitreise! Schliesslich ergibt sich durch die Pflege des Radars eine Dokumentation und man beginnt die Geschichte des Designs aufzuzeichnen. So ließ sich während der Kursreihe ebenfalls erkennen, dass sich Phänomene durch alle Kurse hindurchzogen, jedoch nie gleich blieben. Doch nicht nur die Entwicklung einzelner Cluster ist interessant, sondern auch die Entwicklung der subjektiv beschreibenden Meta-Sprache. Wird der Begriff hart in 10 Jahren ebenso benutzt wie heute, oder ergibt sich durch kulturelle und gesellschaftliche Veränderung eine andere Bedeutung? Dies kann nur durch eine kontinuierliche Dokumentation beobachtet werden. Und dafür bietet sich das Design Radar ebenfalls an.

Zusammenfassend: die Geschichte nachvollziehen, beobachten und verstehen. Die Zukunft weiterdenken können!

Das Design Radar ist mehr als Malen nach Zahlen, oder ein Instrument, um den nächsten Trend zu erkennen. Es soll ein Werkzeug sein, das die Diskussion über Design anregt, das die Geschichte des Designs aufzeichnet, das uns hilft die Essenz einer Designrichtung zu begreifen und zu beschreiben und nicht zuletzt dem Gestalter hilft:

… sich selbst und seine eigene Entwurfsstrategien vor dem Hintergrund des Design Radars zu entwickeln und anzuschauen!

Danke, Christof für dieses Gespräch!

Das vollständige Interview kann im Glossar nachgelesen oder auf der Webseite angehört werden.